Verblichenes Hietzing

 

Das Stadtbild ändert sich ständig, dennoch bleiben Plätze und Häuser wie „Landmarken“ bestehen. Sie trotzen der Zeit und geben einer Stadt eine bestimmte Identität, eine persönliche Note. Auch die einzelnen Bezirke haben ihre eigene, historisch gewachsene Handschrift. Hietzing, eine noble Gegend, ein Villenviertel, ruhig und beschaulich. Hier ist Schloß Schönbrunn und der Tiergarten beheimatet, das ORF-Zentrum und auch die „Werkbundsiedlung“ haben sich hier im 13. Bezirk etabliert. Im Lauf der Zeiten haben sich die Bezirksgrenzen verändert. Zusammengefügt sind nun Lainz, Speißing, Hacking, Ober- und Unter-St.Veit.

 

Ich möchte Ihnen hier ein paar subjektiv ausgewählte Objekte und Plätze vorstellen, die den Großstadttouristen nicht bekannt sein dürften. Einige Gebäude existieren aber heute nicht mehr. Verlassene Villen, abseits der Wege, Orte im Untergrund oder Gebäude, die nicht der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich sind oder waren, sollen kurz vor dem Vorhang treten.

Verschwiegene Villen

Die genaue Adresse dieses Anwesens wird hier nicht genannt. Zu groß ist die Gefahr, dass Vandalen oder andere ungebetene Gäste in diese seit Jahren verlassene Villa einsteigen. Offensichtlich sind die Besitzverhältnisse nicht geklärt oder die Erbschaft noch nicht abgewickelt, sodaß diese einst prächtige Villa mehr und mehr verfällt. Die Fassade bröckelt ab und die Natur nagt an der Bausubstanz. Im Inneren stehen noch alte Möbel, Kästen und ein Klavier. Ein altmodisches Doppelbett, eine Psyche und ein Marienbild sind Zeugnisse einer behüteten Familie, die einst hier lebte. Eine Kommode mit einer Box mit alten Schellacks und eine Hutschachtel in der, für damals geltende kecke Damenhüte schlummern sind die Reste einer verflossenen Zeit. Der alte schwarze Koksofen und der weissemailierte Gasherd in der gekachelten Küche spiegeln die Welt, die längst passe ist. Am Dachboden ist jede Menge Krimskrams liegengeblieben, darunter ein Paar Eislaufschuhe von „anno dazumal“. Behutsam gleite ich aus der verlorenen Villa. Durchwandert man Hietzing, dann findet man jede Menge historische Villen, in verschiedenen baulichen Zuständen. Einige sind total hermetisch mit Zäunen oder Alarmanlagen abgeschlossen. Diese sind im Besitz von Neureichen, von Diplomanten oder gehören alt eingesessenen Bewohnern, die hier ihr Domizil hüten. Der finanzielle Aufwand solcher Anlagen mag jedoch seinen Preis haben, und so ist es auch nicht verwunderlich, wenn die eine oder andere Villa aufgegeben wird. Neue kapitalstarke Investoren stürzen sich auf die Beute und wittern Noblesse. Da Geschmäcker aber bekanntlich verschieden sind, werden historische Villen aber auch „modern“ Zeit angepasst und mit Accessoires der Gegenwart behübscht. Das „Alte“ muss weichen. Freilich der angepasste Komfort fordert seinen Tribut. Das ist der Lauf der Zeit. Wer möchte heute noch in einer feuchten Waschküche, wie zu Großmutters Zeiten, seine Wäsche waschen, einen klobigen Röhrenfernseher im Wohnzimmer oder einen lecken Gaskocher in der Küche stehen haben?

 

Wir schauen uns einige der alten Villen in Hietzing an und beobachten deren Schicksal. In der Kupelwiesergasse 39 stand vor ein paar Jahren noch ein altersschwaches Wohnhaus, an dessen Zustand man schon erahnen konnte, dass hier bald eine Abbruchfirma vorbeikommen wird. Hier lohnte sich offensichtlich keine Sanierung mehr. Das Inventar war bereits schäbig und hilflos veraltet, Nostalgiewert 0. Wer wollte den alten Plunder noch instandsetzen? Das Gebäude erinnerte mich ein wenig an die „Villa Kunterbunt“ von der Pippi Langstrumpf, Angeblich soll das Haus einst dem letzten Bürgermeister von Unter St. Veit gehört haben. Die Adresse kann hier genannt werden, zumal das Haus inzwischen abgerissen worden ist. Noch ein Haus möchte ich hier erwähnen: Das leerstehende Haus in der Mantlergasse war auch so ein Kandidat. Im Inneren war die Villa im Jahre 2017 schon ziemlich „ausgekoffert“. Der rote Kachelofen war offensichtlich der letzte Rest der Eliminierung.

 

Folgerichtige Aufschrift

Verlassen wir nun den Staub der Vergangenheit altersschwacher Villen. Natürlich existieren in Hietzing auch eine Reihe von ambitionierten baulich zusammenhängender Wohnhausanlagen. Zu nennen ist der verschachtelte Komplex der „Werkbundsiedlung“. Über diese Siedlung - entworfen Anfang der 1930er Jahre im Sinne der reaktionären Moderne, jene Strömung der „Bauhaus“-Idee - , die baulich etwas der imperialen geprägten Gründerzeit-Architektur entgegensetzen wollten, ist schon vieles geschrieben worden, sodaß ich sie hier „links“ liegenlassen möchte. Werfen wir einen Blick vielmehr auf eine Siedlung aus den 1950er Jahren, die zwar baulich ein öder Wohnkomplex ist, aber doch eine bemerkenswerte Bauinschrift trägt. „Erbaut im Jahre der Befreiung 1955“. Nein, das ist kein Tippfehler. Hier steht nicht „1945“ sondern dezidiert „1955“. Hier wird tatsächlich das Jahre 1955 erwähnt, als Österreich wahrlich befreit wurde; als die alliierten Soldaten nach zehn Jahren Besatzung aus Wien abgezogen waren.

Luftschutz tut not

Wir kennen aus anderen Bezirken, dass mitunter an so manchen Häusern noch Markierungen aus dem Zweiten Weltkrieg verblieben sind. Luftschutzpfeile, die Abkürzungen „NA“ (Notausstieg) oder „LSK“  (Luftschutzkeller), werden zwar immer weniger, sind aber doch nach rund 75 Jahren noch an unverputzten Fassaden zu finden. An der Fassade der Reihenhäuser in der Veitingergasse 53 befanden sich noch vor einigen Jahren solche Markierungen. Es geht schnell das bei Neuanstrichen oder beim Verlegen von Dämmplatten an den Fassaden diese Zeugnisse verschwinden. Man müsste überprüfen, ob an der Püttlingengasse 7 noch die LS-Markierungen, die ich dort vor drei Jahren entdeckte, noch verblieben sind?

 

Existieren in Hietzing noch einige der obligatorischen „Mannesmann-Ausstiege“ aus dem Zweiten Weltkrieg, die auch in ganz Wien heute noch vielfach zu entdecken sind? Übrigens: Ich habe im Lauf der Zeit über 100 dieser „Mannesmann-Ausstiege“ gezählt, die ebenso zum Erbe des Dritten Reiches zu zählen sind. Ja, im Keller des Amtsgebäudes am Hietzinger-Kai sind noch zwei dieser Weltkriegs-Veteranen verblieben. Jedoch sind sie durch einen Fenster-Nischen-Vorbau vom Gehsteig nicht zu sehen. Wer sich mit den baulichen Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkrieges beschäftigt, dem werden auch die Ausstiege der Firma „Mauser“ bekannt sein. Vor dem Haus in der Gloriettegasse 1befindet sich noch so ein „Mauser-Ausstieg“. In dem Haus befand sich seinerzeit eine Kommando-Dependance der Luftwaffe. Im Zuge der bevorstehenden Bombenangriffe wurden damals vielfach Gebäude mit solchen Notausstiegen ausgestattet. Sollten luftschutzsuchenden Personen nach einem Bombenangriff nicht mehr die Möglichkeit haben durch ein eingestürztes Haus auf normalen Wege ins Freie zu gelangen, boten diese Notausstiege rettende Ausstiegsmöglichkeiten. Wir sehen, auch in Hietzing finden sich noch einige Spuren aus dem Zweiten Weltkrieg.

 

Stollen

Große öffentliche Luftschutzbunker, wie wir sie aus anderen Bezirken kennen, wurden in Hietzing nicht gebaut. Hierbei spielten auch die Bevölkerungs- und die Gebäudedichte bzw. -Anzahl eine Rolle, dass hier keine aufwändigen Bunker für große Massenansammlungen zu bauen waren. Zwar gab es den einen oder anderen Splitterschutz-Deckungsgraben; vielfach wurden aber auch in den Hausgärten provisorische Luftschutzgruben ausgehoben, die aber heute längst zugeschüttet sind. Dennoch existierte in Hietzing unter dem Küniglberg ein rund 300 Meter langer Luftschutzstollen, der hunderten Anrainern Schutz vor Bombenangriffen bot. Vor rund 20 Jahren konnte die unterirdische Anlage an der Alois Kraus Promenade durch einen kleinen Schluff betreten werden. Irgendjemand hatte in den zugemauerten Eingang ein Loch geschlagen und ich habe es gewagt, in den finsteren Moloch einzusteigen. Der lange Gang war feucht und modrig. Nach etlichen vielen Metern war ein Weitergehen ohne passendes Schuhwerk nicht möglich, da ein durchfliesender Bach meinem Forscherdrang einen Strich durch die Rechnung machte. Ich wollte wiederkommen, ausgerüstet mit Stiefeln. Am nächsten Tag war ich gewappnet. Über den vergessenen Stollen habe ich so einiges in Erfahrung bringen können. Damals drängten sich viele Bewohner der Umgebung bei Bombenalarm in dieser Anlage. Auch der Schauspieler Hans Moser, der in der Nähe seine Villa hatte, suchte diesen doch robusten Stollen auf. In den Nischen und Querstollen drängten sich hunderte Personen, vornehmlich Frauen und Kinder. Was sich in diesem unterirdischen Reich alles abgespielt hat, habe ich in einem Kapitel meines Buches „Dokumentiert“ (Band 3) beschrieben.

Görings wunderprächtige Kaserne

Wollen wir noch ein wenig in der Zeit des Zweiten Weltkriegs verbleiben, dann ist natürlich auch die Luftwaffenkaserne am Küniglberg zu erwähnen. Heute befindet sich dort das ORF-Zentrum. Diese große Kaserne, ein Prestigeobjekt von Hermann Göring, hatte den Krieg relativ gut überstanden. Lange Zeit nach dem Krieg waren noch viele Gebäude anderweitig in Verwendung. Hauptsächlich nutzten dort nun Maschinenfabriken die alten Räume. Verblieben waren auch die markanten beiden Rundtürme aus der NS-Zeit, die frappant an mittelalterliche Wehrtürme erinnerten. Erst mit dem Bau der Österreichischen Rundfunk-Zentrale in den 1970 Jahren wurden die Reste der Göring-Kaserne geschliffen.

 

Über diese Treppe musst du gehen

Gehen wir durch die einzelnen Bezirke Wien, dann passieren wir immer wieder Höhe- und Tiefpunkte Wir gehen über Brücken und durch Tunnel und kommen vielfach von einem Extrem in das andere. Über diese Brücke musst du gehen und du betrittst eine andere Welt. In Hietzing kenne ich eine Brücke von der ein besonderes Flair ausgeht. Der kleine Steg über die Eisenbahnstrecke neben den Bahnschranken in der Jagdschlossgasse ist jedoch gesperrt. Die Aufgangs- und Abgangtreppen sind anscheinend marod. Unkraut wuchert. Die Brücke ist für mich insofern magisch, da ich sie gut kenne. Vor vielen Jahren hatte ich sie oft passiert als sie noch zu benutzen war. Als Schüler stand ich gerne auf der Brücke und zählte die vielen, vielen Waggons eines vorbeifahrenden Zuges. Ich spürte das Vibrieren der Brücke und unten rannten rasant die Züge der Zeit vorbei, scheinbar in eine ferne Zukunft, unaufhaltsam. Damals, vor rund 40 Jahren, dachte ich noch nicht, dass ich mich heute intensiv mit Zeit-Rückblicken beschäftige. Der Weltenlauf kennt keinen Stillstand; er fegt alles nieder und achtet nicht auf die Vergangenheit. Villen, Gebäude, Häuser verschwinden oder bekommen ein neues Gesicht. Was damals das Prädikat Wertvoll trug oder als Fortschrittlich galt, ist heute schäbig oder madig.  

 

Geheimnisse in der Maria Theresien Kaserne

Wollen wir noch einen Blick in die Maria Theresien Kaserne werfen, die ja auch eine bewegte Geschichte hat? Dieses militärische Objekt wurde von den Nationalsozialisten als SS-Kaserne fertiggestellt. Sie sollte als Musterkaserne fungieren, war auch dementsprechend mit Weihehalle und dem ganzen Brimborium der NS-Protz-Architektur ausgestattet. Für meine militärhistorischen Studien erhielt ich die Genehmigung mich in den verschwiegenen Gebäuden umzusehen. Dass die Kaserne mit mustergültigen LS-Räumen ausgestattet war, war klar. In vielen Kellern finden sich noch etliche der damals obligatorischen Luftschutztüren, auch „Mannesmann-Ausstiege“ (!). Eine Menge Gebäude waren durch unterirdische Gänge verbunden. Mitunter fanden sich auch Rudimente aus der NS-Zeit, auf die ich aber hier nicht näher eingehen möchte. In meiner Publikationsreihe sind diese Entdeckungen aber nachzulesen.

 

Ein interessanter Vorgang, der sich gegen Kriegsende in der Kaserne abgespielt haben soll, möchte ich hier dennoch kurz erwähnen, zumal er nur wenigen bekannt sein wird. Der Naturwissenschaftler Viktor Schauberger (1995-1958) hatte 1944 mit einer Forschergruppe auf Betreiben der SS geheime Projekte eingerichtet, die hier zur Erprobung kommen sollten. In einem abgeschirmten Kasernengebäude wurde an der Entwicklung eines futuristischen Turboantriebes für Panzer IV und V, unter dem Decknamen „Alfred“ gearbeitet. Schauberger tüftelte schon lange an alternative Energiewirtschaften und in Zeiten des Krieges waren solche Forschungen, die nebenbei ressourcensparend waren, mehr als gefragt. In der großen Halle des Objekt 17 sind heute noch Aufschriften zu lesen: „Elektro-Schweisserei“, „Dreherei“, „Schmiede“, „Elektro-Werkstätte“, etc. Noch geheimnisvoller sind die Arbeiten Schauberger an der „Repulsine“, eine Flugscheibe, angetrieben mit selbsterzeugenden Vakuum-Eigenschaften. Dieses Versuchsmoll eines UFO´s sollte auch eine vielversprechendes, zukunftsorientiertes Objekte im Kampf um die Lufthoheit werden. Ob sich einst wirklich ein Ufo in der Halle der heutigen Maria Theresia Kaserne oder gegen Kriegsende verlegt nach Prag in die Lüfte erhob ist zweifelhaft. Ebenso ob der Turbopanzer jemals existierte. Teile davon sollen doch in St. Aegyd in einem heute unauffindbaren Stollen getestet worden sein. Die heutige Forschung resümiert, dass Schauberger, in den Fängen der SS-Bewacher, vielmehr in seinem Kasernenlabor keine wirklichen Ergebnisse erzielen konnte. Ihm waren in Schönbrunn auch Häftlinge aus Mauthausen unterstellt und ihnen ging es bei Ihren Arbeiten auch primär ums Überleben, ums Durchkommen. Auch hatte sich bald der Visionär Schaubeger die Misstimmung der SS zugezogen und spielte auf Zeit. Heute trägt die Kaserne den Namen der österreichischen Monarchien Maria Theresia und der Ungeist der NS-Zeit wurde soweit möglich ausgetilgt.

 

Ich hoffe mit diesem Spaziergang durch die verschwiegenen Geheimnisse, die auch in Hietzing zugegen sind - und auf die sich das „Forscherteam Wiener Unterwelten“ spezialisiert hat - haben Sie wieder Einblicke gewonnen, welche vielfältigen, fantastischen, facettenreichen, desolaten, verkümmerten, morbiden aber auch grenzgeniale Seiten die „Wiener Unterwelt“ zu bieten hat.

 

Text und Fotos: Marcello La Speranza